Kunsthandel Felix Jud, Hamburg
November 2021
Gruppenausstellung
Große Himmel, gekröntes Blau - 30 Positionen zur norddeutschen Landschaft Gruppenausstellung
In den Werken von Jürgen Scheffler verselbstständigt sich in mehreren Gegenlichtlandschaften der Mal-Duktus zu einer lockeren impressiven Stimmungssicht sehnsüchtiger Tiefe. Die malerisch-koloristischen Spielräume, deren Homogenität das Gefühl suggerieren, als passten Mensch und Natur zusammen, geben Schefflers Alltagsszenen eine gefühlvolle Ausgeglichenheit. Scheffler möchte einen kopflastigen Akademismus mit einem rein sinnlichen Blick lindern und eine achtsame Wiederentdeckung der Umgebung provozieren.
Vorwort für meinem Katalog 2021,
geschrieben vom Galeristen Augustin Noffke
Ein Ideal der menschlichen Daseinsbewältigung leuchtet in der Renaissance auf mit der leidenschaftlichen Sehnsucht nach dem Universalmenschen. Besonders drei Künstler entsprechen diesem Traum von großer existenzieller Wahrnehmungs- und Schaffenskraft: Leonardo da Vinci, Michelangelo Buonarotti und Albrecht Dürer waren reich mit höchst produktiver Neugierde ausgestattet. Alexander von Humboldt ist ein weiteres Beispiel und Idol an komplex angelegter Lebensführung und -gestaltung.
Eigentlich gilt das Prinzip der Vielfähigkeit allgemein, fast alle Menschen sind ein reiches Panoptikum an sinnlichen Kompetenzen, Kraft und Eigenheiten. In der Allgemeinheit, also im gemeinen Geschehen gesellschaftlicher Ordnungsorientierung spielt seit ca. 200 Jahren die Schule eine große Rolle, welche aber, gepaart mit der Gewaltenteilung, dem Einzelnen heute eher ein lineares als ein breit aufgelegtes Leben diktiert. Schule wird zu einer dirigistischen Abarbeitung bestimmter Strukturen, die zwar fachübergreifend gewinnend konnotiert werden könnten, in der Realität aber tatsächlich eine Retardierung des allgemein angelegten Menschen bewirkt, um ihn als teilkompetenten Baustein in der Polis relativ isoliert zu installieren. Die Polis aber, sie frißt ihre Kinder und sie negiert individuale Pracht, Kenntnis und Wirkung. Unter dem Mantel der ängstlichen Scheu vor dem Besonderen, schult die Umgebung den standardisierten Menschen und drückt den „Ungewöhnlichen“ an den Rand.
Im 21.Jahrhundert ist der große, kenntnisreiche und manchmal unbequeme Weise nicht mehr von Gewicht, er wird verdrängt und verhöhnt. Eigentlich weiß die Menschheit mehr als genug, um werthaltig zu existieren. Dennoch haben die Menschen ihre Angst und ihre Triebe nicht im Griff, wessenthalben die grassierende Kapitalisierung der Welt und der Menschen ihren erniedrigenden Fortgang nimmt. Der „homo sapiens“ verkommt zu einem produktiven Konsumsklaven, beraubt sich raumgebender Freiheiten und huldigt der Angst als Rechtfertigung für satte Passivität.
Einerseits scheint der Gang der Dinge dialektischen Prinzipien zu folgen, andererseits gibt es immer die Ausnahme und eine so gestalte Ausnahme aus der Menge scheint Jürgen Scheffler zu sein, der sich ein freiheitliches Dasein gestaltete, welches einer universal ausgerichteten Existenz sehr nahe kommt. Es wird die Aufgabe späterer Publikationen sein, den Werdegang des Jürgen Scheffler in seiner Folgerichtigkeit zu beschreiben. Auffällig indes ist die Konsequenz und Disziplin, mit der sich Scheffler sein Leben baute, an dessen Ende nun die Malerei steht, die ihn Zeit seines Lebens beschäftigte.
Seine bildnerischen Werke stehen in der alten Tradition der gegenstandsbezogenen, also konkreten Malerei. Er arbeitet vermeintlich Pleinair und inszeniert oder dokumentiert das Umgebende, seine Landschaft, seine Orte, seine ästhetische Kompetenz. Zwar gibt es eine relative Parallelität zu den Werken der alten und neuen sogenannten Realisten und Schefflers „frühe“ Arbeiten definieren eine gewisse Nähe zur Bewegung der nordischen Naturalisten, einer Bewegung, die das sinnliche Ereignis der Plenair-Malerei mit der Wiederentdeckung der uns umgebenden Welt verbindet, gegen einen internationalen, kopflastigen Akademismus.
Schefflers Werke sind also von seiner direkten landschaftlichen Umgebung geprägt, seine Themen sind die Landschaft, hier besonders die Küste und das Meer, aber auch urbane Szenen fließen mit ein, in denen, wie am Meer, der Mensch auftaucht.
Den Menschen behandelt Scheffler eigenständig, häufig verliert er sich in gewissenhaften Schnitzungen spezieller Charaktertypen, die sich aus der Hintergrundbühne wie Schauspieler herausheben. Dann werden die bevölkerten Landschaften fast zu Rollenportraits im Sujet Alltagswelt. Dagegen stehen die inszeniert anmutenden Staffelungen von Menschen, isoliert oder gruppig angeordnet, Wesen im Raum. Hier wechselt Scheffler zwischen rhythmischen Perspektiven und komplexen Kompositionen. Seltener, aber um so eindrücklicher, wird der Mensch zum malerisch verdichteten Fleck in der Szene. Nicht isoliert, sondern integriert in die Situation wird der Mensch zum Teil des Ganzen.
Dabei spielt der Maler in seinen letzten Werken gekonnt mit dem Wunder des Lichtes und verliert die Notwendigkeit, exakt malen zu müssen. In mehreren Gegenlichtlandschaften verselbständigt sich der Mal-Duktus, befreit sich und wird zu einer lockeren impressiven Stimmungssicht sehnsüchtiger Tiefe. Dann werden die Darstellungen nicht mehr Dokument, sondern malerisch-koloristische Spielräume, deren Homogenität das Gefühl suggerieren, als passten Mensch und Natur zusammen.Andere Bildwerke stellen dagegen die Frage nach der Rolle des eher fremd anmutenden Menschen, der in seiner Umgebung ein Zuälliger bleibt, ein Vorübergehendes, ein Unverbindliches.
Die malerische Freiheit, die sich Scheffler in den letzten Jahren erarbeitet hat, immer im gegenseitigen, kritischen Austausch mit einem Malerfreund, zeigt eine freie, teils gestisch-expressive, aber hoch abstrakte Übersetzung der gesehenen Welt. Hier präsentiert Scheffler eine dritte, keimende Dynamik, die sich in seiner Arbeit langsam durchzusetzen scheint: Eine expressivere Sicht auf das Licht, die Formen, die Komposition. Dann bricht Freiheit aus und die Pinselzüge erläutern die frische Herangehensweise dieses leidenschaftlichen Stillen. Es ist, als wollte etwas heftigeres aus diesem zurückhaltenden, aber reichen, Empiristen herausbrechen, der dafür mehr Raum und des gewissen Platzes bedarf.
Jürgen Scheffler hat sein Leben kompromisslos strukturiert, existenzielle Perspektivenwechsel gewagt und durchgehalten, er hat sich Sediment für Sediment empirisch gesteigert und sein Leben als eine Evolution vitaler Prozesse begriffen. Damit hat sich Scheffler dem Ideal einer großen, selbst bestimmten Lebensführung genähert und krönt sich mit der ästhetischen Wahrnehmung und Manifestation einer individuellen Prägung. Die Evolution seiner malerischen hat gerade erst begonnen, dieser Maler ist einer, der sich die Reflektion über das Mirakel unseres Seins selbst zum Geschenk macht